Wolfgang Ullrich
In seiner gesamten Arbeit geht es Lois Hechenblaikner um die Kehrseiten, die dünne Oberfläche des schönen Scheins sichtbar zu machen. So sammelt er seit mehr als zehn Jahren die Teile geschredderter Skier. Man kann noch ihre bedeutungsstarken Namen lesen: Big Bang, Turbospeed oder Kamasutra, die siegreiche Abfahrten, Powererlebnisse, erotische Höhepunkte oder andere positive Ausnahmezustände suggerieren und die jenem Immer-noch-mehr-haben-Wollen genau entsprechen.
So wie Hechenblaikner die Skier fotografiert, stehen die verheißungsvollen Namen und Designs im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zugleich ist offensichtlich, dass diese Skier alle nur noch Müll sind, untaugliche Bruchstücke. Man sieht, dass sie lediglich aus lackiertem Holz oder ein paar Aluminium- oder Kunststoffschichten bestehen, ja wie profan sie eigentlich gemacht sind – wie sehr die Warenästhetik nur eine Applikation ist. So wird deutlich, dass die Konsumkultur nur um Placebo-Effekte bemüht ist und dass die Wirkversprechungen keine reale Basis besitzen. Komischer und schlagender könnten die Fiktionswerte der Konsumkultur wohl kaum vorgeführt werden.
In der Untersuchung und Darstellung massentouristischer Strukturen und Verhaltensweisen geht Lois Hechenblaikner von Gegenständen aus, und zwar oft genug von solchen, die sich in großen Mengen vorfinden: leeren Bierfässern, zerschredderten Schiern, Müll, abgenommenen Gipsverbänden, Skihelmen, Schischuhen oder gelagerten Pistenschildern. Die in einem engen Depot gelagerten Verbots- und Gebotstafeln, die dem Straßenverkehr entlehnt sind, geben eine bessere Vorstellung von der touristischen Bewirtschaftung eines alpinen Geländes als eine Aufnahme von diesem. Große Menschenansammlungen lassen sich dokumentieren, nicht aber jene Masse, die während eines Winters allein ein Schigebiet frequentiert.
Alles Neue trägt bereits den Keim des Abfalls in sich. Es dauert nicht lange, bis eben gekaufte Schier zerschreddert werden, und zwar in beachtlichen Mengen. Pasolini schrieb, die Entwertung der Dinge habe letztlich auch eine Entwertung des Menschen selbst zur Folge. Es gilt, sich um den Gast zu bemühen, tatsächlich ist er Objekt der Bewirtschaftung. Den Gast als einzelnes Individuum gibt es nicht, und selbst dann nicht, wenn die Masse, die es zu bewirtschaften gilt, in Einzelobjekte verwandelt werden muss. Unter einem Gast verstand man einst einen Fremden, einen Feind. Dem Gast wurden eine Reihe von Rechten zugestanden. Das Gastrecht war heilig. Ob Gastronomie oder Massentourismus, so reden wir zwar immer noch von Fremden und Gästen, aber wir haben es weder mit Gästen, noch mit Fremden zu tun. Im Massentourismus ist der einzelne bereits bekannt, ehe er angekommen ist. Es sind Kunden und Konsumenten. An die Stelle des einstigen Gastrechtes sind die Rechte heutiger Konsumenten getreten, die dann von Bedeutung sind, entspricht das Angebotene nicht dem Versprochenen. Alle Produkte des Konsums, ob Schier oder eine Woche Urlaub in einem Wintersportort, behaupten Differenz, die Möglichkeit zwischen unterschiedlichen Angeboten wählen zu können. Tatsächlich erweisen sich die Angebote, und das wird offensichtlich, sieht man große Mengen von ihnen, gleichförmig, mehr noch, haben sie eine Uniformierung jener zur Folge, von denen sie konsumiert werden.
Wolfgang Ullrich, Jahrgang 1967, ist Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. In zahlreichen Publikationen befasst er sich mit Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, bildsoziologischen Fragen sowie Konsumtheorie. Bücher (Auswahl): Mit dem Rücken zur Kunst. Die neuen Statussymbole der Macht (2000); Die Geschichte der Unschärfe (2002); Tiefer hängen. Über den Umgang mit der Kunst (2003); Was war Kunst? Biographien eines Begriffs (2005); Bilder auf Weltreise. Eine Globalisierungskritik (2006); Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur (2006); Gesucht: Kunst! Phantombild eines Jokers (2007); Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen (2009); Wohlstandsphänomene (2010); An die Kunst glauben (2011).